Heft 4/2004 Oktober - Dezember 2004 Königinnen aus Kürten Orgelbau Siegfried Schulte Der Pfarrer fuhr im Oldtimer vor, schraubte das Lenkrad ab und marschierte mit ihm in die Orgelbau-Werkstatt Schulte in Kürten-Herweg. Es war nicht das erste Mal, dass der Geistliche kam. Beim ersten Besuch hatte er eine alte Orgel an der Werkstattwand ins Herz geschlossen und entschieden, dass sie ideal für seine Kirche St. Barbara in Langenfeld-Reusrath sei. Nun zeigte er Chef Siegfried Schulte das Lenkrad wegen des schönen Walnuss-Wurzelholzfurniers. Genau dieses Material, erklärte er, wünsche er für den Spieltisch des neugotischen Instruments, das aufwändig restauriert wurde: Die Orgelbauer schnitten es durch, erweiterten es einfühlsam zu einem zweiteiligen symmetrischen Blickfang und orderten schließlich das Walnuss-Wurzelholzfurnier bei genau der Firma, die den Oldtimer ausgestattet hatte. Diese Restaurierung und Neugestaltung einer alten Orgel sei eines seiner interessantesten Projekte gewesen, erzählt Siegfried Schulte. Auch wegen des Priesters, der sogar irgendwann in der Werkstatt eine Mundharmonikagezückt und „Großer Gott wir loben dich “ gespielt und bei Anlieferung der fertigen Orgel die Glocken geläutet habe.„Seid ihr schon mal so empfangen worden?“ habe er gestrahlt und Schulte musste das klar verneinen. Das war ihm, der nächstes Jahr 50 Jahre Orgelbau-Praxis hat ,noch nicht passiert. Aber die Geschichte ist symptomatisch für die Firma: So unterschiedlich ihre Auftraggeber sind, so unterschiedlich sind auch die Orgeln, die sie konzipiert, baut, restauriert oder durch Umbauten wieder spielbar macht. Jede klingt anders, jedes Instrument ist ein Unikat. Über 30 neue Orgeln hat Siegfried Schulte geschaffen, seitdem er sich 1978 selbstständig machte. Heute zählt sein Betrieb „Orgelbau Siegfried Schulte“ sechs Mitarbeiter – darunter Sohn Oliver (27) und drei Auszubildende. „Es ist einer der interessantesten Handwerksberufe überhaupt “,sagt der Chef mit leuchtenden Augen. Denn ein Orgelbauer müsse nicht nur ein gutes Gehör und geschickte Hände haben, sondern in einer Person Schreiner, Schweißer, Metallverarbeiter, Schwachstrom-Elektriker, Techniker, Architekt, Akustiker, Musiker und Designer sein. Eine Vielseitigkeit, die er als 15-Jähriger noch nicht absehen konnte, als der Berufsberater des Arbeitsamts zu ihm meinte: „Na, wie wär’s denn mit Orgelbau?“ Die Alternative: Schaufensterdekorateur. Beim Gedanken daran, dass sein Vater vielleicht auf dieses Pferd hätte setzen können, verdreht Oliver Schulte die Augen. Aber der musikalische 64-Jährige, schon lange Sänger im MGV Her weg, entschied sich – was ihm heute viele danken – für den Orgelbau. Nur mit dem Volksschulabschluss in der Tasche begann er seine Unternehmer-Laufbahn: Die Kölner Firma Peter bildete ihn ab 1955 aus, später legte er dort die Meisterprüfung ab. Über 20 Jahre blieb er, dann wollte er sein eigener Herr sein. „Ich habe mir manchmal ein Brett auf die Badewanne gelegt “, erinnert er sich an die ersten selbständigen Orgel-Arbeiten in der Herweger Wohnung. Seine erste Werkstatt richtete er nebenan im ehemaligen Kuhstall ein. Später zog die Firma nach Scheuren und Bechen, seit 1997 sitzt sie im Gewerbegebiet Herweg und die Nachfolge ist bereits gesichert: Sohn Oliver tritt bereits begeistert in die Fußstapfen des Seniors. „Ich möchte mit keinem anderen tauschen.“ Als Schüler habe er schon „Tasten gehalten“, nach dem Abitur im väterlichen Betrieb die Orgelbauer-Ausbildung gemacht und im Herbst gehe er für ein Jahr an die Musikinstrumentenmacherschule in Ludwigsburg, um den Meister zu machen. Schulte-Orgeln stehen in Einrichtungen, Privathäusern und Kirchen in ganz Deutschland, auch in der Toskana wurde mal eine aufgebaut. Im Rheinisch-Bergischen Kreis erklingen die Kürtener Instrumente zum Beispiel in St. Margareta in Kürten-Olpe, in Mariä Heimsuchung in Marialinden, in Mater Dolorosa in Biesfeld, in Zum Heilsbrunnen in Hebborn und St.Josef in Moitzfeld. Auch die Hausorgeln der Domorganisten Paul Wißkirchen und Andreas Meisner sind made in Kürten. Die Entwürfe des hölzernen Prospekts – mal modern, mal neugotisch, mal barockisierend – macht Siegfried Schulte höchstpersönlich. Dafür lässt er die Stimmung des Standorts auf sich wirken. „Manchmal schließe ich mich sogar für ein paar Stunden ein.“ Bei St. .Johann Baptist in Refrath sei das beispielsweise so gewesen, wo 1988 eine Schleifladenorgel neu gebaut werden sollte. Um den „Rest “ kümmere sich dann das Team. „Wir machen möglichst alles selber.“ Von den Windladen über das Gehäuse bis zu den hölzernen Pfeifen. Einzig die Fertigung der Klaviatur-Tasten und der Metallpfeifen („Aus denen kommt noch kein Ton“) geschieht aushäusig. Zuständig für die typische Intonation der Schulte-Orgeln ist Karl-Josef Potthoff, ein Mann der ersten Firmen-Stunde. „Der haucht den Pfeifen die Seele ein “, schwärmt der Chef. Mit exakt 20 Jahren fast genauso lange im Betrieb ist Andreas Miebach, Orgel- und Harmoniumbauermeister. Er ist als versierter Techniker und Handwerker mit zwei goldenen Händen gefragt – egal ob er an der CAD-gesteuerten Konstruktion arbeitet oder neue Filze in die Tasten der Klaviatur einleimt. „Die müssen so gepresst werden, dass sie sich leicht auf dem Stift bewegen “,erläutert er, während er mit der Zange den Filz festdrückt. Eine Sache mit Fingerspitzengefühl, denn sonst sitzt die Taste entweder zu stramm oder sie klappert. Schultes mögen Besuch, machen oft Führungen. Deshalb gibt es zwischen Holzböcken und Sägen auch ein Modell mit Mini-Pfeifen, das anschaulich macht, wie die Orgel, die als Königin der Instrumente gilt, arbeitet. Seit der Antike habe sich da kaum etwas verändert, sagt Oliver Schulte. Zwar werde der Blasebalg heute nicht mehr mit dem Fuß, sondern elektrisch bedient, aber ansonsten hätten die Experimente im Laufe der Jahrhunderte nicht viel Neues ergeben. „Die Ansteuerung geschieht heute noch wie im 18.Jahrhundert durch Abstrakte, das ist der Fachbegriff für die Mechanik aus Holzleisten.“ Grundsätzlich gelte: „Viel Holz ist das Optimum.“ Deshalb lagert in der Werkstatt auch viel Spessart-Eiche. Daraus werden die Gehäuse gefertigt. Aus dem weicheren Holz von Fichte und Tanne entstehen die hölzernen Pfeifen.„Weiches Holz, weicher Klang “,so eine alte Orgelbauer-Weisheit. Nötig sind für die Produktion nicht nur Sägen, Bohrer und Zangen, sondern auch eine Vielfalt von Kleinteilen. Sie werden in einem alten Schrank mit zahllosen Schubladen aufbewahrt, der früher in der Sakristei des Altenberger Doms stand. Statt Messgewändern und Kerzen ruhen nun in den Fächern Kugelgelenke, Döckchen, Schwinggummis und Gewindestangen. Das größte Objekt der Firma? Die katholische Kirche St. Josef in Köln-Porz mit 48 Registern, weiß Siegfried Schulte ohne langes Nachdenken. Beim Bearbeiten der langen Holzteile hätten Fenster und Türen geöffnet werden müssen. Das künstlerischste Projekt? Die weiß lackierte Orgel für die Kirche Heilig Geist in Neuss, die ein Düsseldorfer Professor künstlerisch gestaltet habe, meint der 64-Jährige.„Die Orgel soll ein Hochhaus darstellen. Die Pfeifen sind die Vorhänge.“ Hat er mal einen Auftrag abgelehnt? Einmal beinahe. Und zwar für die von Architekt Gottfried Böhm entworfene Kirche St. Theodor in Köln-Vingst. „Die Orgel sollte verschwinden.“Unsichtbar ist sie in einem Klotz verborgen,aber Siegfried Schulte hat sich mit diesem Fall extravaganter Architektur ausgesöhnt: „Der Böhm war ja x-Male hier. Und je mehr ich mich darüber mit ihm unterhalten habe, umso mehr hat mir das Prinzip eingeleuchtet. Das Wichtigste ist ja der Klang und nicht die Optik.“ An einem Regal in der Werkstatt, in der es nach frischem Holz duftet, hängt ein merkwürdiger hölzerner Stab mit geschnitzten Verzierungen, an seinem einen Ende sitzt eine Art Wedel aus stoffbezogenen Drähten, die wie Ästchen wirken. „Wir vermuten, es ist ein Weihwassersprenkler “,sagt Oliver Schulte. Der Fund steckte im Blasebalg einer Orgel von 1885, die die Firma in Hennef „unspielbar und in traurigem Zustand “ abbaute ..Während „dieses Ding “ in der Werkstatt blieb, wurde die Orgel inzwischen fein restauriert in Euskirchen-Kleinbüllesheim neu montiert. Ist dort, wie es früher Sitte war, die größte Pfeife für die Orgelbauer mit Wein gefüllt worden? Nein, meinen Schultes. Aber der Pfarrer aus Reusrath habe tatsächlich diesen Brauch aufleben lassen und sogar noch ausgeweitet: Ab und zu besuche er die Werkstatt mit einem Tablett Kuchen Ute Glaser Orgelbau
Siegfried Schulte
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