Heft
1/2004 Januar - März 2004
Dossier
Story:
Vereint ein starkes Trio: Firmen - Nachwuchs - Standort
"Impuls Nachwuchs"
in Stichworten
Fachhochschule
der Wirtschaft und Berufskolleg des b.i.b.
Wenn jemand
vom b.i.b. spricht . . . - eine Begriffsbestimmung
Vereint
ein starkes Trio
Firmen - Nachwuchs - Standort
RBW
will mit innovativen Ideen drei Komponenten unter dem Stichwort „Impuls
Nachwuchs“ stärker vernetzen
Von
Ute Glaser
Als die elektrotechnische Fabrik Adels contact, die in Bergisch Gladbach 110
Mitarbeiter hat, im September einen Assistenten im Vertriebswesen suchte, kamen
Bewerbungen waschkorbweise: 380 Personen schickten Unterlagen. Sogar aus Hamburg
und München. „Was das allein kostet, diese zurückzuschicken“, sagt J. Hans
Hochköppler, Geschäftsführer der GmbH & Co. KG. Ernster stimmt ihn jedoch
die Ausbeute. 350 Bewerber konnten gleich aussortiert werden, von den restlichen
30 durften etwa 20 zum Gespräch kommen. „Es waren qualifiziert: drei.“ Für
Hochköppler ein krasses Missverhältnis. „Da stimmt was nicht. Es kann nicht
sein, dass man einerseits vier Millionen Arbeitslose hat, aber andererseits
Schwierigkeiten hat, qualifizierte Leute zu finden.“ Wer das Rennen machte?
„Wir haben uns letztlich für einen munteren Griechen entschieden, der hier
groß geworden ist.“
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. „Es ist sehr schwierig, qualifizierten
Nachwuchs zu finden“, weiß Hochköppler auch von anderen Mittelständlern.
Zwar bildet sein Betrieb in drei Berufen aus, doch ist dadurch der Bedarf nicht
immer zu decken. Anderen geht es ebenso. Die Dienes Werke für Maschinenteile
GmbH & Co. KG in Overath-Vilkerath, spezialisiert auf industrielle
High-Tech-Schneidtechnologie, pausierten jahrelang als Ausbilder, engagieren
sich aber jetzt wieder sehr viel innerbetrieblich, um den Stab von 180
Mitarbeitern aufrecht zu erhalten. „Die Leute, die wir haben, müssen sich gut
auskennen“, sagt Geschäftsführer Bernd Supe-Dienes. Aber: „Facharbeiter
sind Mangelware.“ Ein Ende der Fahnenstange sei nicht zu erkennen. Im
Gegenteil, die Situation verschärfe sich sicher noch zu „100 Prozent“ in
zwei bis drei Jahren: „Wenn der Pillenknick voll auf den Arbeitsmarkt kommt,
ist keiner mehr da.“ Ziehe gleichzeitig die Konjunktur an, sehe es noch
dramatischer aus. Auch für junge Leute, die in den Startlöchern des
Berufslebens stehen, ist der Weg bis zum Arbeitsvertrag kein Zuckerschlecken.
„Es war sehr schwer“, erzählt der griechische Auszubildende an seinem vierten
Arbeitstag bei Adels contact. Der 24-Jährige hatte nach seiner Ausbildung bei
der Belkaw zum Industriekaufmann an der Kölner Uni Betriebswirtschaft studiert,
nach zwei Semestern erkannt, dass studieren ihm nicht liegt, und sich
arbeitssuchend gemeldet. Übers Internet fahndete er nach Stellen, Bewerbungen
verschickte er „über 100 auf jeden Fall“ und bekam sie fast postwendend
wieder zurück. „Der erste Monat Arbeitslosigkeit ist ja noch angenehm“, räumt
er offen ein. „Aber nach dem sechsten Monat war ich leicht depressiv.“
Frust auf beiden Seiten. Bei Firmen und Nachwuchskräften. Für Oliver Wolff,
Kreisdirektor und Geschäftsführer der Rheinisch-Bergischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft
(RBW), ist das Anlass, Wege zu suchen, um das Miteinander zu vereinfachen.
„Denn erst mal wissen die beiden Parteien nichts von einander.“ Daraus
ergeben sich für ihn zwei Probleme: Zum einen die (mangelnde) Kenntnis des
Nachwuchses um die Wirtschaft am Standort, zum anderen der (verbesserugswürdige)
Zugang der Wirtschaft zum Nachwuchs. Beide Probleme seien im
Rheinisch-Bergischen Kreis ungelöst. „Dieser Anforderung muss sich regionale
Wirtschaftsförderung stellen“, schlussfolgert Oliver Wolff. Die RBW soll künftig
helfen, „verbesserte Beziehungen“ zwischen Unternehmen und Nachwuchskräften
zu schaffen. Dabei ist der Standort als dritte Komponente für Wolff
unverzichtbar. Er ist die Plattform, auf der sich Firmen und Nachwuchs begegnen.
„Man muss frühzeitig den Standort positiv vermitteln.“ Das trage in
verschiedener Hinsicht Früchte: Erstens erhöhe sich die Lebensqualität der
Arbeitnehmer durch die Verbindung von Wohnen und Arbeiten am selben Standort.
Denn sie seien grundsätzlich „eine Immobilie“ und die viel beschworene und
oft notwendige Mobilität sei „eine ungeliebte“. Kurze Wege zur Arbeit erhöhten
die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Davon profitiere – zweitens – die Firma,
die durch standorttreue Beschäftigte meist auch unternehmenstreue gewinne.
Eine Einschätzung, die J.Hans Hochköppler „hundertprozentig“ teilt. Leute
aus der Umgebung seien zudem „motivierter, ausgeruhter“, meint er. Auch die
Kürtener Firma Korte Einrichtungen zählt auf solch eine heimatverwurzelte
Belegschaft und hat deshalb ihren Neubau folgerichtig wieder innerhalb der
Ortsgrenzen errichtet. Drittens freut sich die Gesellschaft, wenn der Nachwuchs
am Standort bleibt und Burscheid statt Bonn ansteuert: Lange Pendlerwege
entfallen, was Straßen, Umwelt und diverse Kassen entlastet.Wie aber lassen
sich die Faktoren Firmen, Nachwuchs und Standort positiv fördern und
verzahnen?
Vorstellung von Oliver Wolff ist, innovative Ideen unter dem Stichwort „Impuls
Nachwuchs“ zusammenzustellen. Seine Vorschläge beziehen sich nicht auf
klassische Modelle wie Schulpraktika. Dieses Feld, meint Wolff, sei Aufgabe der
Betriebe, Schulen und Kommunen. Die RBW sehe es vielmehr als ihre Aufgabe an,
darüber hinaus die Kommunikation zu stärken. Und das nicht durch theoretische
Konzepte, sondern durch praktische Angebote.
Zum Beispiel durch folgende fünf Vorschläge:
Vorschlag 1: (siehe Erläuterung unten „Impuls Nachwuchs) Lernmittel
aus der Firmenpraxis im Schulunterricht. Bei diesem Projekt gehe es darum, so
Oliver Wolff, „dass Betriebe, die geeignete betriebliche Abläufe haben, diese
für den Schulunterricht nachstellen. Das technische Know-how kann so
lernplankonform in die Schule transportiert werden“. Teilnehmen könnten
beispielsweise Firmen aus der Elektrotechnik, der metallverarbeitenden oder
chemischen Industrie. Mittels der von ihnen zusammengestellten „Baukästen“
könnten echte Betriebsabläufe als Anschauungsunterricht in Physik, Chemie oder
Biologie dienen. Dadurch würde für den Nachwuchs transparent, was in Betrieben
am Standort passiert. „Wenn der Lehrer sagen kann: ,Das, was du da gemacht
hast, wird auch da hinten in der großen Halle gemacht’, haben wir das Ziel
erreicht“, sagt Wolff. „Es vermittelt dem Nachwuchs Wissen und verschafft
dem Unternehmen einen Weg zum Nachwuchs.“ Die Rolle der RBW dabei? „Es ist
Aufgabe von Wirtschaftsförderung, die an einen Tisch zu kriegen.“
„Die Verzahnung zwischen Schulen und Wirtschaft ist uns ein Anliegen“, ist
Eva Babatz, Leiterin der IHK-Zweigstelle Leverkusen/Rhein-Berg von dieser Idee
angetan. „Die Schüler haben von Wirtschaft wenig Ahnung und die Lehrer
meistens leider auch nicht.“ J. Hans Hochköppler denkt in dieselbe Richtung:
„Die Schüler können nur lernen, was die Lehrer beherrschen.“ Sein
spontanes Votum zur Wolff-Idee: „Da bin ich gerne bereit, das mitzumachen.“
Er unterstütze Bemühungen, den Dialog zwischen Berufsschulen und Unternehmen
zu intensivieren. Heinz Braun, Geschäftsführer von Elektro Braun in Bergisch
Gladbach, findet die Lernmittel-Idee für Schulen ebenfalls interessant,
wenngleich er sich für seinen Betrieb nicht sehr viel davon verspricht: Wenn er
jemanden ausbildet oder einstellt, kennt er ihn meist bereits durchs Schülerpraktikum.
In dem 18-Personen-Betrieb werden die sieben Auszubildenden über die schulische
Ausbildung hinaus in der Praxis gefördert: In einem Übungsraum können sie
nach Feierabend Schaltungen aufbauen und testen.
Auch Bernd Supe-Dienes macht sich gern für die Praxis stark. Seine Firma hat
bereits eine Partnerschaft mit dem Overather Paul-Klee-Gymnasium, wo er
referiert und Mitarbeiter Bewerbungstrainings durchführen. „Jeder Kontakt
zwischen Schule und Wirtschaft ist sinnvoll. Die Schulen öffnen sich zum Glück.“
Vorschlag 2: Lernwerkstatt neue Medien. Diese freiwilligen
Qualifizierungsmaßnahmen könnten zum Beispiel durchgeführt werden von der
Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) oder dem b.i.b.-Berufskolleg in Bergisch
Gladbach (siehe Extra-Text), die über eine „hervorragende Ausstattung“ verfügen
und „für den Standort bedeutend“ sind, schlägt Oliver Wolff vor. Ein ähnliches
Projekt ist ihm von der Universität Esslingen bekannt, die unter dem Slogan
„Girls only“ junge Frauen erfolgreich an die Computerwelt heranführte.
Tatsache ist, dass heute vier von fünf Frauen im Dienstleistungsbereich
arbeiten, wo sie auf breiterer Basis als Männer Umgang mit neuen Technologien
haben. Allerdings gestalten sie diese nur selten mit. „Daher ist es notwendig,
Frauen in Berufsfelder der Wachstumsbranche Informations- und Telekommunikation
(IT) zu führen“, fordert das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) auf
seiner Website. Prof. Dr. Thomas Obermeier, stellvertretender Leiter der FHDW,
bekundet spontan Interesse daran, solch eine Lernwerkstatt mit auf die Beine zu
stellen, zumal das für seine Hochschule eine gute Werbung sei. „Wir wollen ja
gerade die haben, die sich engagieren.“ Ein spezielles Angebot für Mädchen hält
er für sinnvoll. „In den Informatikkursen sind die Jungs drin und die Mädchen
trauen sich nicht, weil sie Angst haben, ausgelacht zu werden. Dabei stellen wir
fest, die Jungen wissen gar nicht so viel. Aber die Mädchen lassen sich durch
das Gerede abschrecken.“
Zu den Vorstellungen Wolffs passt das, was die FHDW gerade mit Schulen in die
Wege leitet: Ab September 2004 soll es erstmals einen Kurs für Nicht-Studenten
geben. Dieser „Einführungskurs Mathematik“ wird samstags kostenlos für
interessierte Schüler der Klassen 12 und 13 stattfinden. Die dabei erworbenen
Scheine können später beim FH-Studium anerkannt werden. Auch beim
b.i.b.-Berufskolleg wird derzeit eine Kooperation mit Schulen angestrebt. „Wir
haben da schon Anstrengungen unternommen“, sagt Öffentlichkeitsreferentin
Michaela Hermes. Im Herbst diesen Jahres gab es erstmals ein Workshop zu Java,
Flash und Linux für Schüler der Klassen 10 bis 13. „Das war ein Testballon.
Die Resonanz war sehr groß und wir werden das sicherlich wieder machen.“ Die
75 Plätze reichten nicht aus, waren aber nur zu rund 25 Prozent von Mädchen
belegt. Ein Grund, warum auch Michaela Hermes Angebote „for girls only“
unterstützt.
Nachwuchs per Intranet frei Haus, so lautet Vorschlag 3. „Wir werden
ein Unternehmensnetzwerk ins Leben rufen“, sagt Oliver Wolff. Konkret bedeute
das, „dass Absolventen von Fachhochschulen die Möglichkeit erhalten, sich per
Steckbrief und Vita vorzustellen in dem nur für Unternehmen zugänglichen
Unternehmensnetzwerk“. Auch wer nach dem Abitur oder nach anderen Abschlüssen
eine Stelle sucht, kann seine Daten in den Pool einspeisen lassen. Hüterin des
Intranets wird die RBW sein. Sie trägt für das Netzwerk Sorge, stellt die
Texte der Absolventen ins Netz. Brauchen Betriebe eine Nachwuchskraft, können
sie in diesem Pool nach einer passenden Person Ausschau halten. Gibt’s so
etwas schon? Nach Wolffs Wissen nicht. Manuela Hermes vom Berufskolleg findet
solch eine Nachwuchs-Datenbank im Netz zweckmäßig. Bernd Supe-Dienes ist sich
da nicht so sicher: „Ob die Unternehmer da reinschauen?“ Er selbst werde das
„tendenziell eher nicht“ machen, glaubt er. Er findet es günstiger, wenn
Absolventen in einer Unternehmensdatenbank stöbern und „dann erst mal
anrufen“.
Vorschlag 4: Beratung für Existenzgründer, bereits seit langem ein
Standbein der RBW. Auch für den Deutschen Industrie- und Handelskammertag ist
das Thema brandaktuell. Zwar sprechen bei den IHKs pro Stunde 110 Interessenten
vor, doch im September stellte das Gremium fest: „Immer weniger Menschen in
Deutschland wagen den Weg in die Selbstständigkeit.“ Es fordert den Abbau von
Gründerhürden und schlägt vor, „in Schulen und Universitäten mehr für das
Unternehmertum als Ziel der Lebensplanung zu werben“. Auf den Lehrplan gehöre
„Unternehmerische Selbstständigkeit“. Ähnlich denkt das Bundesinstitut für
Berufsbildung (BIBB), das derzeit erste konzeptionelle Überlegungen zur
Integration unternehmerischer Qualifikationen in die Berufsbildung anstellt.
Anlass war im Sommer 2003 das Ergebnis eines BIBB-Forschungsprojekts, bei dem
Unternehmerinnen und Unternehmer zum Thema befragt wurden. Der Wunsch der
meisten von ihnen: „Die Fähigkeit zu unternehmerischem Denken und Handeln
sollte bereits während der Berufsausbildung gefördert werden.“
Interessant: Frauen sind unter den Gründern langsam im Kommen. Das hat eine
Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim
in Kooperation mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für
Wirtschaftsforschung im Sommer 2002 ergeben. Seit 1991 habe die Zahl selbstständiger
Frauen um 30 Prozent in Deutschland zugenommen, die selbstständiger Männer nur
um 16 Prozent. Trotzdem ist unterm Strich die Selbstständigenquote der Frauen
mit rund sechs Prozent nur halb so hoch wie die der Männer. Der
Rheinisch-Bergische Kreis gehört übrigens im NRW-Ranking der Kreise und
kreisfreien Städte nach ihrer Gründungsaktivität zu den Top Ten, so das Nürnberger
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Hinter Spitzenreiter Düsseldorf
mit einer Gründungsrate von 8,79 (durchschittliche jährliche Zahl der
Betriebsgründungen je 1000 abhängige Erwerbspersonen) rangiert er auf Platz
zehn mit einer Gründungsrate von 6,36.
Vorschlag 5: Ein Spiel zum Standort. „Was ist ein Auge in der
Schneidwarenindustrie?“ müsste dann mit „die obere Grifföse einer
Schere“ beantwortet werden. Wird „Wieviel Tonnen Papier kann die PM3 bei
M-real Zanders pro Stunde produzieren?“ gefragt, wäre „78“ die korrekte
Antwort. „Das Spiel müsste von der breiten Unternehmerschaft getragen
werden“, meint Oliver Wolff. Sie sollten selbst Fragen und Antworten zu ihrer
Firma liefern und sich damit der breiten Masse bekannt machen. Langfristiges
Ziel des Spiels wäre es, der Jugend frühzeitig den Standort nahe zu bringen
– und das mit Spaß. Nebenbei könnten Firmen das Standort-Spiel als
Werbemittel einsetzen. „Ich bin kein großer Spieler“, reagiert Bernd
Supe-Dienes auf solch ein Kreisgebiet-Spiel etwas defensiv. „Ob die Leute dafür
Geld ausgeben?“ Schließlich läge dem klassischen Overather vermutlich auch
im Spiel eher Engelskirchen als Wermelskirchen am Herzen. „Aber jedes Mittel
ist recht, um zum Ziel zu kommen.“
Man muss sich was einfallen lassen“, meint auch Eva Babatz. Die Idee,
Wirtschaftsfragen mit Spielspaß zu verknüpfen, findet sie durchaus sinnig,
denn auch nach Spielende gelte: „Arbeit sollte Spaß machen.“ Das Zeug, um für
Furore zu sorgen, habe der Kreis jedenfalls: „Der Standort ist attraktiv.“
Das liege an der Nähe zu den Großstädten, der Natur und am insgesamt guten
Wohnwert.
Der Rheinisch-Bergische Kreis ist mittelständisch geprägt. Allein die IHK hat
hier rund 15 000 Mitgliedsbetriebe, hinzu kommen noch ein paar tausend
Handwerksbetriebe und andere Selbstständige. Demgegenüber stehen derzeit knapp
20 000 Kreisbürger im Alter von 18 bis 25 Jahren. Firmen, Nachwuchs, Standort
– inwieweit lassen sich diese Faktoren zusammenbinden? Auch der „Impuls
Nachwuchs“ der RBW kann nur dann Früchte tragen, wenn alle Betroffenen an
diesem Ziel mitwirken. Die vorgestellten Ideen können deshalb auch nur so weit
greifen, wie einige andere Parameter sich ändern: „Stellen im Büro kann ich
fünfmal besetzen, im Betrieb hat man Schwierigkeiten“, sagt Geschäftsführer
Bernd Supe-Dienes. Es liege am Image, dass manche Stellen kaum besetzt werden könnten.
Arbeit, bei der „man auch schon mal Öl an die Finger kriegt“, sei unpopulär
bei der Jugend. Diese Einschätzung vertritt auch Klaus Hurrelmann, Soziologe an
der Universität Bielefeld und Mitautor der Shell-Jugendstudie: „Die Bedeutung
von Image und Prestige eines Berufs hat unter Jugendlichen in den vergangenen
Jahren zugenommen. Die Jugend will sich mehr denn je durch den Beruf profilieren
und präsentieren.“ Das liege am Bewusstsein, in einer Leistungsgesellschaft
zu leben, in der ein Fleischer oder Gebäudereiniger nicht ins Bild vom
erfolgreichen, technikorientierten Durchstarter passe.
Dabei ist bei vielen Schulabgängern noch nicht angekommen, dass sich klassische
Berufe sehr gewandelt haben. Fleischer arbeiten als Caterer, befassen sich mit
Maschinenprogrammierung und Marketing, Gebäudereiniger müssen in Umwelt- und
Gesundheitsschutz firm sein. Deshalb fordert Dietmar Thönnes vom
NRW-Landesarbeitsamt: „Wir müssen noch viel mehr Aufklärungsarbeit leisten.
Die Leute müssen viel früher mit dem komplexen Thema Berufswahl konfrontiert
werden.“ „Manchmal hat man den Eindruck, dass die jungen Leute die
Wichtigkeit des Vorstellens gar nicht erkennen“, sagt J. Hans Hochköppler.
Bei Gesprächen seien sie „einfach schlecht vorbereitet“, hätten sich über
seine Firma „null“ informiert, hätten selbst auf einfachste Fragen keine
Substanz zu bieten und blieben zum Teil sogar bei Begrüßungen „im Stuhl hängen“.
Hochköppler: „Das hat nicht nur etwas mit Etikette zu tun, sondern mit
Respekt.“
Heinz Braun kann ebenfalls ein Lied von solchen Erlebnissen singen und staunt
bisweilen über das Outfit des Nachwuchses. Ein Punkt, der auch Bernd
Supe-Dienes zu denken gibt: „Manche laufen rum, da meinen Sie, die hätten am
nächsten Tag eine Nierenerkältung.“ Gerade bei Gästen aus den Golfstaaten,
die nur verhüllte Frauen kennen, sei das ein Problem. „Wir sind keine Bank,
aber wir sind auch kein Freibad“, stellt er fest und überlegt mit einem Lächeln,
ob er sich nicht eine Digitalkamera anschaffen soll, um markante
Mitarbeiter-Beispiele am schwarzen Brett auszuhängen. Allerdings: „Bei den
jungen Leuten muss man vorsichtig sein, sonst fühlen die sich angegriffen.“
Übertragbar ist vielleicht eine Befragung, die das Bundesinstitut für
Berufsbildung (BIBB) bei Praktikums-Betrieben durchführte und im Oktober veröffentlichte:
Vier von fünf Firmen halten demnach die Jugendlichen für interessiert und umgänglich,
allerdings nur 68 Prozent für pflichtbewusst und lediglich 21 Prozent für
eigeninitiativ.
Die schulische Ausbildungslandschaft sei in Kreis und Region „im Vergleich zum
restlichen Nordrhein-Westfalen besonders günstig“, stellt Eva Babatz fest.
Allerdings müsse auch die Qualität stimmen, merkt Bernd Supe-Dienes an, den
stutzig machte, dass unlängst eine Kassiererin ihn fragte, wie man denn „GmbH
& Co. KG“ schreibe. Defizite im Schreiben, Lesen und Rechnen beklagen auch
andere Betriebe bei Schulabgängern. Allerdings ist nicht nur die schulische
Ausbildungssituation wichtig, sondern auch die betriebliche, betont Eva Babatz.
Die frischen Ausbildungszahlen vom Oktober stimmen die IHK-Frau bedenklich.
„Gerade im Rheinisch-Bergischen Kreis ist die Zahl der abgeschlossenen
Ausbildungsverträge am stärksten zurückgegangen im Kammerbezirk Köln.“
Genau um 6,16 Prozent. „Das erfüllt uns mit großer Sorge.“ Nur Köln steht
schlechter da, die Zahl der Ausbildungen in den übrigen drei Gebieten stagniert
oder steigt. „Der Auszubildende von heute ist die Fachkraft von morgen“,
erinnert Eva Babatz an einen vertrauten Slogan. „Wenn wir uns nur noch aufs
Abwerben beschränken – wo soll es denn dann nachher hingehen?“ „Er
ist lernfähig“, sagt J. Hans Hochköppler über seinen griechischen
Auszubildenden. Ein Kriterium, das im Kleinen
genauso wichtig ist wie im Großen. Eva Babatz weiß um die Bedeutung von Aus-
und Fortbildung als wesentlichem Faktor der Standortsicherung: „Der
bildungsverweigernde Arbeitnehmer wird zukünftig mit Sicherheit in der
Dauerarbeitslosigkeit enden.“ Und der bildungsverweigernde Arbeitgeber bringt
sich selbst um die Ressource Nachwuchs.
IMPULS
NACHWUCHS
Vorschlag
1: Lernmittel aus der Firmenpraxis im Schulunterricht
Kern dieser Idee ist es, dass betriebliche Abläufe von Firmen aus der Region im
Schulunterricht nachvollzogen werden. Die notwendigen Rohstoffe, Materialien und
Werkzeuge sollten von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden und für
Schulen unterschiedlicher Art abrufbar sein.
Vorschlag 2: Lernwerkstatt neue Medien
Ziel dieser Idee ist es, jungen und vor allem interessierten Nachwuchs an neue
Medien heranzuführen und ihm die Chance zur Weiterbildung zu geben. Speziell
gilt dies für Mädchen und junge Frauen, um sie an den sich schnell verändernden
IT-Arbeitsmarkt heranzuführen.
Vorschlag 3: Nachwuchs per Intranet frei Haus
„Wir werden ein Unternehmensnetzwerk ins Leben rufen“, sagt Oliver Wolff.
Nutzer des Netzwerkes sollen ausschließlich Firmen sein, natürlich vor allem
die aus dem Kreisgebiet. Sie können sich per Mausklick im Intranet
Nachwuchskandidaten gewissermaßen frei Haus holen, denn deren Profile werden in
einer Datenbank hinterlegt. Ein Service für Unternehmen und den
Nachwuchs.
Vorschlag 4: Beratung für Existenzgründer
Dieser Punkt ist nicht neu, sondern bereits seit langem ein Standbein der RBW.
„Es ist ermittelt worden, dass ein hoher Prozentsatz an Absolventen
unmittelbar in die Selbstständigkeit geht“, betont Oliver Wolff die
Wichtigkeit des Themas, das auch den Bereich „Firmenübergabe – Firmenübernahme“
umfasst.
Vorschlag 5: Ein Spiel zum Standort
Idee ist es, ein anspruchsvolles Gesellschaftsspiel im Stile von „Trivial
Persuit“ zu kreieren. Die Wissensfragen sollten sich nicht nur um Geschichte,
Geographie, Sport und Kultur des Rheinisch-Bergischen Kreises drehen, sondern
ganz überwiegend aus der Wirtschaft stammen. Und dies ganz konkret aus den
Firmen, die sich für diese Idee begeistern lassen.
Private
Qualifizierer zwischen Schule und Beruf
„Wir sind genau dazwischen“
FHDW
und Berufskolleg des b.i.b.
2000 Bewerbungen gehen jährlich bei der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW)
ein, doch nur 180 junge Leute bekommen nach Gesprächen und Tests einen
Studienvertrag. Sie studieren Betriebswirtschaft – wobei Gronau als einziger
FHDW-Standort auch den Schwerpunkt Touristik anbietet – oder
Wirtschaftsinformatik und erhalten nach garantierten 36 Monaten ihren Abschluss.
Sitzenbleiben gibt’s nicht, wer das Pensum nicht schafft, fliegt raus. Praxis
wird groß geschrieben bei der FHDW, die 1996 den Betrieb aufnahm und von Prof.
Dr. Hubert Schäfer geleitet wird. Binnen der ersten drei Jahre baute sie
Kontakte zu 750 Unternehmen der Region auf. Der stellvertretende Leiter Prof.
Dr. Thomas Obermeier sieht das Haus als Mittler zwischen Schulen und Firmen:
„Wir sind genau dazwischen.“ Das spiegelt sich in der Ausbildung wider.
Drei-Monats-Blöcke in Hochschule und Betrieb wechseln sich ab, so dass ein
Absolvent 18 Monate Praxis-Erfahrung vorweisen kann und häufig gleich in
„seinem“ Betrieb bleibt.
Das Studium an der FHDW, das nur vier Wochen Semesterferien kennt, ist kostenträchtig.
600 bis 650 Euro muss jeder Studierende pro Monat zahlen. Das macht 22000 Euro
bis zum Diplom. Abgemildert werde dies jedoch durch die Vergütung, die von den
Betrieben an die Studenten während der Praxis-Phasen gezahlt werde, sagt Prof.
Obermeier. Manche Unternehmen wie Belkaw und Krüger übernehmen sogar die
kompletten Studiengebühren, um die Studenten anschließend zu übernehmen.
Solche „festen Verträge“ haben aber abgenommen. Von über 70 Prozent auf
etwa 50 Prozent, schätzt Prof. Obermeier. Auch die Zeiten, in der sämtliche
Absolventen sofort in Arbeitsstellen vermittelt wurden, seien aufgrund der
konjunkturellen Lage vorbei. Dennoch werde die praxisnahe Ausbildung der FHDW
immer noch hochgeschätzt. „Finden tut jeder etwas, aber es ist manchmal eine
Frage der Zeit.“
Wenn es um die Förderung von Nachwuchs, Firmen und Standort à la RBW-Papier
geht, fallen dem Vize-Schulleiter drei Punkte ein, die besonderes Augenmerk
verdienen: Erstens müssten die Schulen effektiver arbeiten. „Die
Fachqualifikation muss stimmen.“ Zweitens sollten „soft skills“ und Werte
stärker gefördert werden. „Grundsätzlich merken wir, dass das
Sozialverhalten, das Benehmen, die Kleidung, wie man sich im Unterricht verhält,
nachlässiger wird.“ Das werde in Einführungskursen mit den Studenten
versucht, aufzufangen. „Wir haben auch ganz klar Spielregeln eingeführt.“
Trinken und Essen sind im Unterricht tabu, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit
Pflicht. Bei Verstoß gibt’s ein Gespräch. „Letztlich muss jeder selbst
wissen, wie er sich verhält.“
WER’S NICHT SCHAFFT, FLIEGT
Drittens sei es wichtig, Jugendlichen bei der Entwicklung von Zielen zu unterstützen.
Es nehme zu, „dass die Studenten gar nicht wissen, was sie wollen“. Die
konkrete Zielorientierung sei „zu wenig ausgeprägt“, bedauert Prof.
Obermeier. Auf die Frage „Wo möchtest du in zehn Jahren stehen“ heiße es
meist „Keine Ahnung“. Das ändere sich zwar während des Studiums, doch auch
an dessen Ende hätten 10 bis 20 Prozent der FHDWler noch keine Vorstellung von
ihrer Zukunft. „Tendenz steigend.“ Die Ursache? „Es ist alles sehr bequem
geworden “, vermutet Prof. Obermeier. „Warum soll man sich anstrengen?“
Oder ein Ziel entwickeln? Die FHDW versucht zu Studienbeginn diese Defizite mit
speziellen Workshops und Lerneinheiten aufzufangen. Den Unternehmern rät sie:
„Eine Perspektive aufzuzeigen ist oft wichtiger als ein paar hundert Euro mehr
im Monat.“
Nicole Goerlich gehört zu den rund 500 Studierenden am b.i.b.-Berufskolleg für
angewandte Informatik in Gronau. „Weil ich kein richtiges Abitur habe und in
den Informatikbereich wollte“, bewarb sie sich. Informationstechnische
Assistentin will die 21-Jährige werden, jetzt ist sie im dritten Semester und
macht nebenbei das Fachabitur. Die 245 Euro Studiengebühren pro Monat tun ihr
nicht leid. Durch das Berufskolleg erhalte sie schließlich einen hoch gelobten
qualifizierten Abschluss, „im Gegensatz zu staatlichen Schulen, die das
gleiche anbieten“. Zwar findet sie es schwierig, in einem Betrieb „den
Anforderungen gerecht zu werden“, doch sieht sie ihre Zukunft aufgrund des
erstklassigen Schul-Rufs rosarot: „Das ist mit am einfachsten, die richtige
Firma zu finden.“ Doch der gute
Ruf allein genügt nicht mehr. „Die Arbeitsmarktlage ist nicht besonders
gut“, sagt Michaela Hermes, Öffentlichkeitsreferentin des Berufskollegs. Zwar
sei durch die firmennahe Ausbildung, die eine mehrwöchige Projektarbeit im
Unternehmen beinhalte, das Gros der Studenten immer noch „relativ gut
vermittelbar“, doch möglich sei ein Bleiben „im Rheinisch-Bergischen Kreis
nicht unbedingt“.
Etwa 4500 junge Leute haben seit 1981 am Berufskolleg ihren Abschluss gemacht,
kontinuierlich wurde die Einrichtung erweitert. Derzeit werden
Informatiker/innen in den Bereichen Multimedia, Softwaretechnologie und
Wirtschaft ausgebildet, zudem Informationstechnische Assistent(inn)en. Geplant
ist, demnächst auch eine Ausbildung zum kaufmännischen Assistenten der
Fachrichtung Informationsverarbeitung anzubieten. Stolz ist das Berufskolleg auf
den engen und oft langjährigen Kontakt zu Unternehmen. Nach jeder
Praxis-Einheit fasst Michaela Hermes nach, um ein Feedback der
Ausbildungsinhalte zu bekommen. „Da sehen wir: Sind unsere Themen aktuell.“
Was derzeit gefragt ist? „Bei Java ist im Moment ein sehr hoher Bedarf.“
Zudem im Bereich Datenbank, Internetprogrammierung und -design. Das Gros der
Studierenden kommt aus dem Rheinisch-Bergischen und Oberbergischen Kreis sowie Köln,
aber auch aus Wuppertal und Aachen. „Man sagt immer: Früher waren die Schüler
besser. Dieses Gejammer halte ich für einen Vorwand “, ist Michaela Hermes überzeugt.
Wer jammere, scheue vermutlich nur den Aufwand, die Sache in die Hand zu nehmen.
„Ich kann nicht bestätigen, dass die Schüler so viel schlechter sind und
dass man aus denen nichts machen kann.“ Im Gegenteil: „Die entscheiden sich
sehr bewusst für den Bereich Informatik. Und da sind sie auch hochmotiviert.“
AUSBILDUNG IST INTENSIVER
Allerdings hat auch sie bemerkt, dass junge Leute nach dem bisweilen laxen
Schulleben plötzlich mit dem festen Berufskolleg-Stundenplan und der
Anwesenheitspflicht zu kämpfen haben. „In einer Firma können sie ja auch
nicht kommen und gehen, wie sie wollen. Das ist ein großes Anliegen.“ Ja, es
werde am Berufskolleg viel verlangt, sind sich die Kölner Felix Dahlke und
Gilbert Hinga während ihres Fast-Food-Mittagessens einig. Die beiden 17-jährigen
lassen sich zum Informationstechnischen Assistenten ausbilden. „Ich habe
Freunde auf anderen Schulen“, sagt Hinga, „die haben sehr leichten
Unterricht im Vergleich zu uns. Die Ausbildung hier ist viel intensiver.“
Dahlke will später die Ausbildung zum Informatiker an der FHDW draufsatteln.
„Dann kann ich alles machen“, ist er überzeugt. Auch Hinga vertraut, was
die Zukunft angeht, ganz auf den guten Ruf der Schule: „Da kann man sich auf
dem Arbeitsmarkt was aussuchen.“
Wenn jemand vom
b.i.b. spricht . . .
... benutzt er die Abkürzung für
„Bildungszentrum für informationsverarbeitende Berufe“. Es hat mehrere
Niederlassungen in Deutschland, eine davon seit 1981 in Bergisch Gladbach-Gronau.
Derzeit unter Niederlassungsleiter Paul Hermes. In Gronau ist das b.i.b. Träger
zweier selbstständiger schulischer Einrichtungen: der Fachhochschule der
Wirtschaft (FHDW) und des Berufskollegs für angewandte Informatik. Verwirrend
ist für Außenstehende, dass FHDW und Berufskolleg den ehemaligen Gronauer
Bahnhof und die übrigen Gebäude größtenteils gemeinsam nutzen. Zudem ist der
b.i.b.-Niederlassungsleiter zugleich auch Leiter des Berufskollegs, während die
FHDW eine „eigene“ Leiterperson hat – derzeit Prof. Dr. Hubert Schäfer.
Um die Verwirrung komplett zu machen, sprechen viele vom b.i.b., wenn sie in
Wirklichkeit das Berufskolleg meinen. Zu guter Letzt: Lautmalerisch
unterscheidet sich das b.i.b. natürlich nicht vom BIBB, womit allerdings etwas
ganz anderes gemeint ist: das Bundesinstitut für Berufsbildung mit Sitz in
Bonn.
Fachhochschule der Wirtschaft
Tel.: 0 22 02/95 27-220
Fax: 0 22 02/95 27-200
info-bg@fhdw.de
Berufskolleg für angewandte Informatik
Tel.: 0 22 02/95 27-01
Fax: 0 22 02/95 27-100
info-bg@bib.de
beide Hauptstraße 2
51465 Bergisch Gladbach
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