28. Oktober 2003
Story:
Das Happyend einer Hilfsaktion
- Chefarzt besucht seine Patientin im Urwalddorf Das Happyend einer Hilfsaktion
Rheinisch-Bergischer Kreis - Nachdem das Auto im Örtchen Tigaon links abgebogen ist, dauert es nicht lange, bis der Asphalt aufhört. Wasserbüffel, Reisfelder und Kokospalmen säumen die Piste, die Richtung Berg Isarog führt. Der Weg zu Maria Estrella Samonte (50) ist lang. Vom Bergischen bis zur Provinzhauptstadt Naga in Camarines Sur auf der philippinischen Hauptinsel Luzon brauchten der Forsbacher Professor Dr. Jürgen Menzel und seine Frau Heide zwei Tage. Dann dauert es noch mal anderthalb Stunden, bis es im Auto plötzlich heißt: „Aussteigen!“ Sozusagen im Nichts. Aber dann tauchen sie aus dem Grün auf, die Ureinwohnerkinder, die sich zur Feier des Tages traditionelle Blätterkleider angezogen und Federn ins dichte Haar gesteckt haben. Und dann kommt auch Maria. Der reisefreudige Chefarzt, der die 35 Kilo leichte Ureinwohnerin vor einem Jahr kostenlos in der Neurochirurgie Köln-Merheim von ihrem Makel befreit hatte, wollte seine Ausnahme-Patientin wiedersehen. Denn obwohl er viele Menschen aus aller Welt operiert habe, sei Maria „etwas ganz Besonderes“, ihr Fall „einzigartig“. Doch ohne die Hilfe von Carmen Rössel-Dapilos wäre es schwer gewesen, die Aeta-Ureinwohnerin aufzuspüren. Doch die Bensbergerin, die neben ihrer Arbeit als Krankenschwester am Evangelischen Krankenhaus Bergisch Gladbach zahlreiche Hilfsprojekte in ihrer philippinischen Heimat organisiert, kennt sich aus und versteht den Dialekt. Sie hat eine Vorschule in Marias Stamm der Cuayaoyao gegründet und bei deren Besuch war ihr Ende 2001 Maria buchstäblich über den Weg gelaufen. Damals entstellt von einer überdimensionalen Wucherung (Meningozele) an der Stirn, die - eine Laune der Natur - exakt die Form einer weiblichen Brust hatte. Die Besucher werden von den Aeta mit Blumen bekränzt. Strahlend nimmt Maria den deutschen Chefarzt, der neben der 1,43 Meter kleinen Frau wie ein Hüne wirkt, am Arm und führt ihn durch ihr Dorf. Selbstbewusstsein und Würde strahlt sie aus. Sie sei „sehr glücklich“, sagt sie. „Ich fühle mich wie neugeboren.“ Vorbei ist die Zeit, in der sie wegen ihres Makels von den Kindern verlacht und von Schwangeren angstvoll gemieden wurde. Vorbei ist auch die Zeit, in der sie zum Schlafen sieben Quadratmeter Erdboden mit der neunköpfigen Familie des Bruders in seiner Palmenhütte teilte. Maria ist jetzt eine kleine Königin, eine Prominente. Durch Spendengelder aus Deutschland hat sie sogar ein eigenes Haus, das größte im Dorf mit luftigen 60 Quadratmetern aus Stein und Bambus. Sie bewohnt es mit Nena, einer ebenfalls ledigen Frau. Gemeinsam kümmern sie sich um den Garten, in dem Ananas, Auberginen, Tomaten, schwarzer Pfeffer und Kokospalmen wachsen. Ein Schwein, Hühner und ein Wasserbüffel gehören auch dazu. Damit kein Neid im Stamm aufkommt, gehört alles formal der Hänsel & Gretel Foundation, dem philippinischen Verein von Carmen Dapilos. Vielleicht das kostbarste Gut im Haus von Maria: das Fotoalbum. Sie zieht es aus dem Regal und schaut sich mit Menzels die Bilder an, lässt die Tage in Deutschland und die Geschichte ihrer ungewöhnlichen Operation noch mal Revue passieren. „Vergleichliches hat es nicht gegeben“, kommentiert Jürgen Menzel das Bild, das Maria mit der Meningozele zeigt. „Aus Menschlichkeit“ und aus „medizinischem Interesse“ habe er geholfen. Maria, die schamhaft ihren Kopf mit einem Tuch verhüllt. Maria beim Schreiben lernen. Maria im Kernspin. Maria mit Professor Dr. Bernhard Liedtke vom Evangelischen Krankenhaus, der den Kontakt zu Menzel herstellte. Maria im OP, als der Neurochirurg das Loch im Schädel schloss. Maria mit Professor Dr. Dr. Gerald Spilker, dem Chefarzt der Plastischen Chirurgie Köln-Merheim, der kostenlos den Hautsack abnahm und die Augenpartie richtete. „Es hätte etliche Komplikationen geben können“, sinniert Jürgen Menzel. Zufrieden mit dem Heilungsprozess betrachtet er seine Patientin, die gerade von der mitgebrachten Schokolade nascht: „Der Fall ist abgeschlossen.“ Die Stammesangehörigen, die sich eben am Fenster drängten, strömen zur Stammeshalle, um den deutschen Gästen Lieder und Tänze der Aeta-Kultur zu präsentieren. Für sie ist das, was Maria erlebte, kaum nachvollziehbar. Sie leben ohne fließendes Wasser und Strom, kennen weder Lift noch WC. Maria hatte vor ihrem Deutschland-Abenteuer in keinem Auto gesessen, in keinem Bett geschlafen, musste lernen in Schuhen zu gehen und Treppen zu steigen. Aus dieser fremden Welt kam sie für den Stamm wundersam geheilt zurück. Plötzlich war sie keine Randfigur mehr, sondern Mittelpunkt. Sogar der Häuptling tanzte mit ihr. Es war der erste Tanz ihres Lebens. Sehr bewegt ist der Arzt, als es Abschiednehmen heißt. „Der enorme Einsatz
meiner Mannschaft hat sich gelohnt.“ Maria strahlt zufrieden, mitreisen möchte
sie nicht. „Ich bleibe lieber hier in meinem schönen Haus.“ Und in dessen
Spiegel blickt sie jetzt gerne, weil sie sich „hübsch“ findet. Einen Freund
hat sie aber nicht. „Verliebt war ich noch nie“, verrät sie. Aber
vielleicht passiert ja noch ein Wunder. Marias Fall ist wohl einmalig in der Welt. Eine so große Meningozele im Erwachsenenalter war bis dato in der medizinischen Literatur unbekannt. Dass sie zudem das Aussehen einer weiblichen Brust hatte, macht den Fall einzigartig. Befund: Die Stirnbeine sind bei Maria nicht zusammengewachsen. Aus dem im Durchmesser fünf Zentimeter großen Loch im Schädel sackte die Hirnhaut aus (Meningozele). Sie war glücklicherweise nur mit Hirnwasser und Gewebeteilchen, nicht mit Gehirnmasse gefüllt. Operation: Die Operation dauerte zwölf Stunden. Zunächst wurde aus dem Oberschenkel Muskelgewebe entnommen. Mit diesem verschloss Prof. Dr. Jürgen Menzel, seit über 20 Jahren renommierter Chefarzt der Neurochirurgie Köln-Merheim, den Defekt am Schädel. Anschließend entfernte Prof. Dr. Dr. Gerald Spilker, bekannter Chefarzt der Plastischen Chirurgie Merheim, den Hautsack und formte Marias Gesicht neu. Spenden: Die Ärzte verzichteten aufs Honorar, die Genesung gelang
durch finanzielle Unterstützung der beiden Evangelischen Kirchengemeinden
Bensberg und Bergisch Gladbach, der Katholischen Pfarre St. Nikolaus in Bensberg
sowie durch etliche Leser-Spenden. Für das neue Leben von Maria in ihrem Dorf
sammelte der Frankfurter Anwalt Dr. Rudolf Sumera. (ugl) Die Bensbergerin Carmen Rössel-Dapilos organisiert seit 1990 Hilfsprojekte in ihrer philippinischen Heimat. Sie startete eine Bambusplantage mit Manufaktur, revolutionierte das Ausbildungssystem, gründete sechs Vorschulen, führte Baumpflanzaktionen, Alphabetisierungskurse für Erwachsene und Ausbildungsseminare für Frauen durch. 1997 begann sie ihre Aeta-Hilfe, als viele jugendliche Ureinwohner die alten Sitten und Gebräuche schon nicht mehr kannten. Zwei der Schulen sind in Aeta-Stämmen errichtet. Neben herkömmlichen Fächernwerden auch Stammestraditionen unterrichtet. Alle Maßnahmen haben das Ziel, das Selbstbewusstsein der Aeta zu fördern, ihre Würde zu stärken und ihre Traditionen zu bewahren. Neues Projekt ist der Eco Park in Marias Stamm, für den der Häuptling ein Hektar Land spendete. Wie in einer Art Freilichtmuseum sollen dort die Traditionen, handwerklichen und landwirtschaftlichen Fähigkeiten der Aeta dargestellt werden. Marias Haus steht im Eco Park, denn sie und ihre Mitbewohnerin sollen bei seiner Pflege helfen. Die Einweihung des Eco Parks fand anlässlich des Menzel-Besuchs statt. Die Projekte von Carmen Rössel-Dapilos finanzieren sich fast komplett aus privaten Spenden. Ein Spendenkonto hat die Pfarre St. Nikolaus Bensberg eingerichtet. Infos: Carmen Dapilos, 02204 / 911767. (ugl)
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