UteGlaser                                                                                                                                                E-Mail                    
Journalistin

 

Mittwoch, 12. März 2008

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Hermine

Meine Tochter kam kürzlich nicht allein aus der Schule. Sie hatte Hermine dabei. Die duftete nach Hefe. Stolz wurde mir die zähe Teigmasse in der Plastikdose vorgestellt und mein Sprössling kündigte an, sich ganz allein um die mehrtägige Betreuung zu kümmern.

Nach Umrühren sowie der Zugabe von Zucker, Milch und Mehl sollte ein Kuchenteig daraus werden, der am fünften Tag gevierteilt werden muss: ein Teil zum Backen, ein Teil zum Behalten und „Anfüttern“ eines nächsten Kuchenteigs und zwei Viertel zum Verschenken. Das kam mir vertraut vor. Hatte ich nicht -zig Variationen dieses Teigs im Studium genossen? Mal mit Nüssen verfeinert, mal mit Rosinen oder Schokostückchen. Allerdings nannte sich dieser wundersam vermehrende Teig damals „Hermann“. Er war unter Studenten dermaßen verbreitet, dass ihn irgendwann niemand mehr mochte. Ich dachte, er sei ausgestorben.

Jetzt ist Hermine da. Mit einer Beschreibung, die meine Tochter animiert, sich liebevoll um sie zu kümmern. Statt „umrühren“ fordert die Anleitung „Du solltest mich spazieren führen“. Statt „Milch zugeben“ heißt es „Heute habe ich Durst“. Und wenn es ans Weitergeben der Teig-Viertel geht, wird empfohlen, die „Babys“ an „liebe Menschen“ abzugeben, die sich „um meine Babys gut kümmern“. Warum Hermann out und Hermine in ist? Für meine Tochter ein klarer Fall: „Ein Mann kann ja keine Babys bekommen.“ Offenbar handelt es sich um ein Stück Teig gewordene Emanzipation.
UTE GLASER

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