UteGlaser                                                                                                                                                E-Mail                    
Journalistin

 

24. März 2005

Koelner Stadt-Anzeiger online - www.ksta.de

TIT_Rheinberg.gif   

In 365 Tagen durch die Bibel

Von Ute Glaser

Die Teilnehmer treffen sich einmal pro Woche in der Gnadenkirche - mit Elfriede Pick als „Tourleiterin“.

Bergisch Gladbach - „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Das Buch, das Elfriede Pick aufschlägt, ist viel benutzt, sein Rücken zerfranst, der Einband abgegriffen. Ein Bestseller ist es, und doch ein Buch, das kaum jemand ganz liest: die Bibel. Die Kölnerin kennt den ersten Satz allerdings genauso gut wie den letzten. Denn Elfriede Pick ist gewöhnt, das „Buch der Bücher“ von vorne bis hinten durchzulesen. „In 365 Tagen durch die Bibel“ nennt sie ihre literarisch-religionsgeschichtliche Reise, bei der sie stets viele Weggefährten hat. Derzeit in der Gnadenkirche. Jeden Dienstag von 19.30 Uhr bis 21 Uhr treffen sich die Bibelfans zur gemeinsamen Lektüre nach einem speziellen Leseplan.

„Haben Sie sich schon ein Bonbon genommen?“ Die Dose mit der süßen Begrüßung wird durch die Kirchenbänke gereicht. Etwa 20 Besucher sitzen dort. Sie haben jeweils ihre eigene Bibel mitgebracht, auch Stift und Papier für Notizen. Mehr Reisevorbereitungen sind nicht nötig. Seit der Bibel-Marathon im Februar begonnen hat, ist Nina Schmitt (11) dabei. „Ich komme immer“, sagt die Schülerin, die durch einen Zettel in der Schule von der Veranstaltung erfuhr. Neben ihr spitzen Mutter und Opa die Ohren. „Eigentlich hat sie uns mitgeschleppt“, sagt Renate Schmitt lächelnd. Bisher hat sie das nicht bereut. „Es gefällt mir sehr. Frau Pick macht es sehr gut.“

Kein Wunder: Elfriede Pick kennt sich aus, jeder spürt, dass sie fasziniert, worüber sie spricht. Der Lese-Marathon in der Gnadenkirche ist sie bereits der 14. Doch jedes Mal gestaltet sie die Reise durch das „Buch der Bücher“ etwas anders - abhängig von den Mitlesern, die allwöchentlich kommen, um sich ungewohnte Begriffe, seltsame Bräuche und geschichtliche Hintergründe erläutern zu lassen.

Dieses Mal geht es um das jüdische Fest Jomkipur, und nebenbei erfahren die Besucher, dass darauf der sprichwörtliche „Sündenbock“ zurückgeht. An diesem Fest, erzählt Elfriede Pick, sei stets ein Bock als Opfer geschlachtet worden und ein zweiter - symbolisch mit Sünden beladen - als „Sündenbock“ in die Wüste gejagt worden.

Nina Schmitt findet solche Geschichten spannend. „Dann weiß man, wie die gelebt haben.“ Ähnlich denkt Johanna Rahtgens, auch sie ist an der Auslegung der Schriften „hochinteressiert“. Ob sie vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes durchhält? „Ich hoffe!“ Leicht ist es nicht. „Das ist ein Marathon, der ist hart“, schenkt Elfriede Pick ihren Lesegefährten stets reinen Wein ein. Nicht jeder Text ist verständlich wie Hoheslied oder Wundergeschichte. Es gibt auch trockene Passagen. „Manche Bücher sind ganz schwer zu lesen.“ Oder grausam. Eine Teilnehmerin erinnert sich an aufgelistete Brandopfer bei Mose. „Furchtbar“ sei das, „immer wieder dasselbe“. Und die vielen Namen, die sich unmöglich jemand merken könne! „Muss man ja nicht“, setzt sie lächelnd hinzu. Jeder könne aus der Heiligen Schrift für sich bewahren, was ihn oder sie anspreche.

Ist es nicht etwas verrückt, die Bibel komplett zu lesen? Für Elfriede Pick nicht mehr. Schon als Kind interessierte sie sich für Religion. „Aber meine Fragen konnte mir niemand beantworten. Ich habe mit meinen Lehrern immer im Streit gelegen.“ Pick gibt ein Beispiel. „Das fing mit der Schöpfungsgeschichte an. Wie soll ich glauben, dass die Welt in sieben Tagen geschaffen wurde? Jetzt weiß ich: Das ist ein Schöpfungslied.“ Es sei der erste Entwurf einer monotheistischen Welt zur Zeit der Vielgötterei. „Was frappierend ist: Die Reihenfolge der Entstehung stimmt.“

Pick studierte zunächst Deutsch und Geschichte für das Lehramt, später auch Evangelische Theologie. „Da habe ich Blut geleckt.“ Das meistverbreitete Buch der Welt faszinierte sie - als Glaubensbuch, Geschichtsbuch und literarisches Kunstwerk. Trotzdem wäre es zur 365-Tage-Reise durch alle 66 Bücher der Bibel wohl nie gekommen, wäre Elfriede Pick nicht 1987 am Strand von Norderney einer Bad Liebenzeller Missionsschwester begegnet, die 34 Jahre auf einer Südseeinsel verbracht und die Bibel in zwei Eingeborenensprachen übersetzt hatte. „Das war für mich das Ereignis. Ich dachte: Wenn diese Frau die Bibel zweimal übersetzt, kannst du sie wenigstens einmal von vorne bis hinten lesen.“ Und warum dafür nicht Mitleser unter den Schülern des Heinrich-Heine-Gymnasiums in Köln-Ostheim gewinnen, an dem sie unterrichtete? Obwohl dieses Ansinnen durchaus mit klassischem „Balla-balla-Handzeichen“ quittiert wurde, entpuppte es sich als Renner.

„Wer's durchhält, den lade ich zum Essen ein“, versprach Elfried Pick, als im Februar 1990 der erste Bibel-Marathon startete. Rund 100 schafften es. Am Tisch saß auch die Missionsschwester. „Die ist inzwischen 97 Jahre alt“ - und der Bibel-Marathon ein Selbstläufer. An ihrer Schule gab es ihn bis zu ihrer Pensionierung zehnmal, zudem in den Gemeinden Buchheim und Merheim. Im oberbergischen Denklingen, wo sie nur das Alte Testament las, war die Nachfrage nach dem Neuen so groß, dass sie es nun von April bis Juli dort „nachholen“ wird.

Für das Bibel-Projekt hat Elfriede Pick eigens einen Bibelleseplan erstellt. „Natürlich gibt es Bibellesepläne“, erzählt sie. „Aber die bieten meist nur ein paar Brocken.“ Das genügte ihr nicht. „Ich bin Germanistin. Ich wollte ein ganzes Buch vor Augen haben.“ Durch das begleitet sie, sie hilft, die Bildersprache zu verstehen. „Der rote Faden der Bibel ist, die Harmonie mit Gott wieder herzustellen. Ohne Leistung.“ Das fasziniere sie immer wieder neu.

Auf der Kirchenbank liegt der Leseplan für den nächsten Monat. Wer ihn noch nicht hat, greift beim Abschied zu. „Hier wird nichts ausgespart.“ Bis zum letzten „Amen“.

^

 
Zurück zu: Archiv   Text-Archiv 2005   Aktuelles